Zivilcourage – Erwachsene und Kinder (MCPM024)


Heute erzähle ich euch die Geschichte von Börni. Börni hatte eine spitzbübische und etwas ungeschickte Kindheit, eine rebellische und tollpatschige Jugend, überlebte überraschender Weise bis zu seiner Volljährigkeit und heiratete. Bald wurde seine Frau schwanger und alle seine Freunde panisch.
Ahoi: Erwachsene und Kinder
Die Fruchtblase platze und Börni legte los, jedoch nicht, bevor er noch einmal ausgiebig das stille Örtchen aufgesucht hatte. Er schnappte sich eine leere Tasche, warf diese ins Auto, fuhr los Richtung Krankenhaus, drehte wieder um, holte seine hochschwangere Frau, preschte erneut los und gab Frau inklusive leerer Tasche an der Rezeption ab.
Während Börni aus Versehen einer anderen Geburt beiwohnte, sich wieder beruhigt hatte und gerade dabei war, die leere Tasche auszupacke, hielt seine Frau eine wunderschöne Tochter in Händen und verspürte die ersten, unbestimmten Zweifel.
Nie hätte sie in Frage gestellt, dass Börni nicht alles für seine Tochter tun würde, doch Karma, Geschicklichkeit und Börni waren noch nie gute Kumpels gewesen, weshalb die frischgebackene Mutter in den ersten Monaten ihre Augen für keine Sekunde von ihrem Kind ließ.
Es folgte ein heißer Sommer und als die junge Mutter vollkommen übernächtigt zwischen Bergen aus Windeln und Müll versuchte die Wohnung in Ordnung zu bringen, sah sie keine andere Möglichkeit mehr und bat ihren Mann, er möge das Baby nehmen und einen Großeinkauf starten.
„Null Problemo“, erklärte Börni, schnappte sich den Kinderwagen, stopfte ihn in sein Auto, preschte los, drehte um, holte seine Tochter und fuhr quer durch die Stadt zu einem besonders großen Supermarkt, der sich neben einem riesigen Park und einem Schwimmbad befand.
Börni zerrte den Kinderwagen aus dem Auto, streichelte kurz seine Tochter und betrat das klimatisierte Gebäude. Er bemerkte auffallend schnell, dass Einkaufswagen und Kinderwagen trotz zweier menschlicher Arme eine gewisse Herausforderung darstellten, funktionierte deshalb den Kinderwagen einfach um und bald verschwand die kleine Tochter unter Brot, Gemüse, Milch und Schokolade.
Nachdem Börni zum Schluss die Kühlabteilung hinter sich gelassen hatte, wo seine Tochter wegen der gefrorenen Lebensmittel ein wenig zu quengeln begann, fand er auch schon die Kassa, rief seine Frau an, fragte nach dem Code seiner Bankomatkarte und wiederholte diesen sicherheitshalber laut, denn so konnte er sich Informationen nun einmal am besten merken.
Börni begab sich ächzend zu seinem Auto, lud alles in den Kofferraum ein, warf noch einen sehnsüchtigen Blick auf den Park und das Schwimmband, setzte sich in sein Auto und fuhr quer durch die Stadt wieder nach Hause zurück.
Er stieg aus und überlegte, ob er die ganzen Lebensmittel in die Wohnung schleppen sollte, entschied sich dafür, nahm die ersten triefenden Säcke und ging ins Haus. Als seine Frau sah, dass ihr Mann bepackt mit Lebensmittel, jedoch ohne Baby, in die Wohnung kam, fragte sie aufgelöst: „Wo ist unsere Tochter?“
Im Bruchteil einer Sekunde wich jegliche Farbe aus Börnis Gesicht. Er ließ die tauenden Lebensmittel fallen, stolperte aus der Wohnung, hetzte nach unten, sprang in sein Auto und fuhr mit quietschenden Reifen zurück.
Börni vernahm weder die Flüche noch die Bitte seiner Frau: „Nimm mich mit, du Idiot!“ Er ignorierte Ampeln, Zebrastreifen und zahlreiche Verkehrsregeln, blieb mit quietschenden Reifen am Parkplatz für Supermarkt, Park und Schwimmbad stehen, stürzte aus seinem Auto und atmete auf.
Nach über eineinhalb Stunden stand der Kinderwagen noch immer unberührt in der sengenden Hitze, während seine Tochter vor Schmerzen und Angst brüllte. Börni war erleichtert, denn er hatte nicht das Gefühl, dass das Geschrei seiner Tochter jemanden von den tausenden Passanten gestört hätte, die seltsamerweise alle penetrant in eine andere Richtung blickten.
Da kann ich doch nur sagen: Danke für eure Akzeptanz, liebe Mitmenschen.

Durch die Verantwortungsdiffusion, Angst vor Konsequenzen und das Vertrauen in die Polizei nimmt die Zivilcourage gefühlt ab. Natürlich soll man sich keiner Auseinandersetzung stellen und die eigene Gesundheit riskieren, sondern eben die Polizei anrufen. Doch an einem schreienden Baby vorbeizuspazieren übersteigt mein Verständnis.
Was denkt ihr über Zivilcourage?

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