Menschen, die im Dienste des Staates stehen, genießen in der Bevölkerung ein ganz besonderes Ansehen. Manche von ihnen verstehen nicht, dass sie durch Steuergelder bezahlt werden und die Bürger unterstützen sollten.
Fairer Weise sei hier erwähnt, dass 40% der Behördenbesuche harmlos verlaufen und bei 30% sind einzelne Beamte tatsächlich überdurchschnittlich bemüht. Dann sind da noch die restlichen 30% der Besuche, bei denen ich mir immer wieder die Frage stelle, ob ich träume, da ich nicht glauben kann, dass das gerade wirklich passiert.
So kam es, dass ein älterer Mann schon seit Jahrzehnten eine Brieffreundschaft mit einer älteren Dame unterhielt, die in einem betreuten Wohnheim für alte Menschen lebt. Eines Tages bricht der Briefkontakt ab.
Er schreibt zwar fleißig weiter, aber sie nicht mehr zurück. Alles, was er wissen wollte war, ob die betreffende Dame noch lebt. Ich rufe also beim Wohnheim an und bekomme die Information, dass ich diese Information nicht bekommen kann.
Da ich wusste, dass ich in deutschsprachigen Ländern das Recht habe zu erfahren, wo jemand mit seinem Hauptwohnsitz gemeldet ist, dachte ich naiver Luftverbraucher, ich dürfte auch wissen, ob die entsprechende Person noch lebte.
Normalerweise gehe ich auf die entsprechende Behörde, sage dort Name und Geburtsdatum oder ungefähren Wohnort der betreffenden Person und erfahre, wo diese Person gemeldet ist. Dieses Mal hoffte ich auf einen Daumen nach oben oder unten.
Ich zücke also den Hörer, rufe bei der Vermittlung an und schildere die Situation. Die Tante kennt sich nicht aus und verweist mich an eine Behörde, die nicht zuständig ist und mich an eine Behörde verweist, die sich nicht auskennt und mich an eine Behörde verweist, die nicht zuständig ist und mich an eine Behörde verweist, die … Der Vormittag vergeht.
Gegen Mittag fass ich zusammen. In diesem Land will offensichtlich keiner wissen, ob jemand noch lebt und die Vorurteile, die man als Bürger gegen Beamte hat, sind nicht so ganz unbegründet. Beim nächsten Anruf bei einer Behörde, die nicht zuständig ist und sich auch nicht auskennt, treffe ich auf eine besonders bemühte Beamtin, die sich schlau macht und mir folgendes erklärt:
Sie: Diese Information darf ich ihnen nicht am Telefon geben.
Ich: Warum.
Sie: Das ist Vorschrift. Da müssen Sie auf eine Behörde.
Ich: Muss ich mich dort ausweisen?
Sie: Nein.
Ich: Warum muss ich dann auf eine Behörde?
Sie: Weil das in den Vorschriften steht.
Ich: Schön, und auf welche Behörde?
Sie: Auf das Standesamt.
Ich: Entschuldigung. Ich möchte nicht wissen, ob die neunzigjährige Oma geheiratet hat, ich möchte nur wissen, ob sie noch lebt.
Sie: Richtig. Das erfahren sie auf dem Standesamt. Ist doch logisch.
Ich: Danke.
Nachdem ich diese Information mehrmals telefonisch überprüft hatte und da ich ja sonst nichts in meinem Leben zu tun habe, wagte ich mich also als pazifistischer Bürger an die Front und trat meinen Weg zu einer Behörde an. Eine Dame mittleren Alters stand hinter einem Tresen.
Ich: Hallo. Ich hab heute Vormittag mit allen Behörden des Landes telefoniert. Nette Leute. Die haben mir gesagt, dass ich bei Ihnen erfahren kann, ob ein mir bekannter Mensch noch lebt.
Sie: Können Sie sich ausweisen.
Ich: Ja, brauchen Sie denn meinen Ausweis?
Sie: Nein.
Ich: Ähm
Sie wartet.
Ich: Soll ich Ihnen vielleicht Name, Adresse und Geburtsdatum der betreffenden Person nennen.
Sie: Das kostet aber Geld.
Ich: Dachte ich mir schon, hab ich dabei.
Sie wartet.
Ich lege meine Geldtasche auf den Tresen.
Sie wartet.
Ich gebe ihr einen Zettel und sage:
Ich: Nur zur Erinnerung. Ich würde gerne wissen, ob diese Frau noch lebt.
Sie: Stehen sie in einem wirtschaftlichen Verhältnis mit dieser Dame?
Ich: Nein. Ich will der neunzigjährigen Oma auch keine Lebensversicherung verkaufen. Ich will nur wissen, ob sie noch lebt.
Sie: Dann darf ich Ihnen diese Auskunft leider nicht geben.
Ich: Alle Beamtinnen- und Beamtentelefonisten des gesamten Landes sind der Meinung, dass Sie das sehr wohl dürfen.
Sie: Ich kann Ihnen doch nicht einfach so sagen, ob jemand lebt.
Ich: Doch, dürfen Sie!“
Die Tante überlegt und ich sehe, dass Sie keine Ahnung hat, was Sie darf und was nicht, aber vorsichtshalber einmal „nein“ sagt, also erkläre ich ihr:
Ich: Ich habe in diesem Land das Recht zu erfahren, wo jemand gemeldet ist. Das beinhaltet logischer Weise auch, ob diese Person noch atmet.
Sie: Natürlich dürfen Sie erfahren, wo jemand gemeldet ist, aber das ist ja etwas ganz anderes.
Ich: Verstehe. Ich darf also nachfragen, ohne wirtschaftliches Verhältnis, wo jemand wohnt, damit ich ihn dann dort aufsuchen kann um seine Zähne von seinem Kiefer zu trennen, aber ich darf nicht wissen, ob der Betreffende dabei lebt.
Sie: Ähm, da muss ich meinen Vorgesetzten fragen.
Ich: Klingt nach einer prima Idee. Und wenn Sie schon dabei sind, nehmen Sie ihn doch gleich mit.
Nach fünfzehn Minuten kommt die Tante wieder, ohne Vorgesetzten und sagt:
Sie: Die hat gerade keine Zeit zu kommen, aber ich habe mit ihr gesprochen.
Stille, während mir klar wird, dass sie nicht einmal weiß, ob sie einen männlichen oder einen weiblichen Vorgesetzten hat.
Ich Super. Uuund?
Sie: Sie sagte, wenn die betroffene Person im Ausland gestorben ist, dann wissen wir das nicht.
Ich: Ähm, kein Problem, die neunzigjährige Oma war ein Reisemuffel. Warum versuchen wir es nicht mit dem Sterbeort Inland?
Sie überlegt lange und meint schließlich:
Sie: Na, wenn Sie in keinem wirtschaftlichen Verhältnis mit der betreffenden Person stehen, dann kann ich Ihnen das leider nicht sagen.
Ich: Kein Problem, das habe ich nämlich vergessen. Die Oma schuldet mir noch zwei heiße Cent. So, lebt sie noch oder muss ich auf einen Euro erhöhen?
Sie: Die Information haben wir gar nicht hier.
Ich schlag mir gegen die Stirn.
Sie: Wir sind nämlich das Standesamt. Da müssen Sie auf eine andere Behörde.
In diesem Moment wundere ich mich, woher die Vorurteile gegen Beamte kommen. Aber wenigstens weiß sie, auf welchem Amt sie arbeitet, also frage ich:
Ich: Wohin muss ich denn nun?
Sie: Auf das Meldeamt.
Ich seufze und quieke verzweifelt:
Ich: Ich weiß doch, wo die liebe Oma wohnt, ich möchte doch nur wissen, ob sie noch lebt.
Sie: Na können Sie dort nicht vorbeifahren?
Ich: Die physische Möglichkeit quer durch das Land zu reisen und selbst nachzusehen ob die Oma noch lebt besteht natürlich, aber wofür werden Sie denn durch meine Steuergelder bezahlt?
Sie: Das weiß ich jetzt nicht so genau, aber beim Meldeamt kann man Ihnen sicher weiterhelfen. Allerdings sollten Sie sich beeilen. Die schließen bald. Es ist immerhin schon früher Nachmittag.
Ich bummle also im Dauerlauf zum Meldeamt, hetze die Stiegen empor, ziehe eine vierstellige Nummer und stehe mir die Füße in den Bauch, da alle Stühle besetzt sind. Die Atmosphäre gleicht der Partystimmung im Wartezimmer beim Zahnarzt. Endlich komme ich dran und schildere meine Geschichte. Der Beamte erklärt mir:
Er: Ich kann Ihnen nur sagen, wo die Frau wohnt. Das kostet ein paar Euro.
Ich weine und sage durch zusammengebissenen Zähnen:
Ich: Das weiß ich doch. Ich möchte doch nur wissen, ob die liebe Oma noch lebt.
Er erklärt mir, dass er mir diese Auskunft nicht geben darf, ich eigentlich auf das Standesamt müsse, erkennt jedoch meine Verzweiflung, sieht trotzdem nach und sagt:
Er: Also ganz unter uns. Sie ist gemeldet, also lebt sie noch. Das würden wir sonst erfahren.
Ich bedanke mich überschwänglich, flehe ihn fast an, Geld für die Auskunft bezahlen zu dürfen, was er ablehnt, und entferne mich demütigst. Und so einfach ist es in deutschsprachigen Ländern zu erfahren, ob jemand noch lebt.
Wer regelmäßig auf eine Behörde muss, hat etwas zu erzählen. Was sind eure Erfahrungen mit Behörden?
Ein Kommentar zu Lebt er noch? (MCPM 007)