der militärische Geographielehrer und seine Verschwörungstheorien (MCPM 017)


Entweder habe ich es einem fragwürdigen Zufall zu verdanken, dass ich in meinem Leben so spezielle Geographielehrer hatte oder unsere Landkartenexperten sind tatsächlich ein ganz besonderer Schlag von Menschen.
Irgendwie tendieren meine Geographielehrer dazu, auch Deutsch zu unterrichten. Meine erste Deutsch/Geographielehrerin baute in ausnahmslos jeden Satz mehrmals das Wort „Oder“ an den oder unmöglichsten Stellen oder ein.
Als ich die Klasse wechselte, drückte mir mein neuer Deutsch/Geographielehrer eine 500-Seiten-dicke Mappe in die Hand und meinte: „Lerne das!“ Ich erklärte, dass ich die letzten beiden Klassen legal bestanden hätte, er sicherlich nach dem geltenden Lehrplan unterrichtet hatte und diese Aktion somit nicht nötig wäre. Daraufhin drückte er mir zwei 500-Seiten-Mappen für seinen Deutschunterricht in die Hand.
Während wir in der letzten Klasse den Kontinent Afrika durchgenommen hatten, unterrichtete mein neuer Geographielehrer Hoch- und Tiefdruckgebiete, analysierte das Verkehrsaufkommen in erste Welt Ländern und ärgerte sich über Hobby-Motorradfahrer, da diese mit seinem System nicht erfasst werden konnten.
Er änderte die Sportwoche zu einer Erhebung des Verkehrs in einem unserer Nachbarländer und führte seine Klasse zu einer politischen Abstimmung. Hui, spannend. Als ich ihn darauf ansprach, versuchte er mir tatsächlich zu erklären, dass dies alles lehrplankonform war.
Doch eines Tages traf ich auf den König unter den Geographielehrern, wir nennen ihn gerne Professor Auer, und ich darf mit Fug und Recht behaupten, dass ich ganze drei Jahre seines Unterrichts überlebt habe.
Professor Auer hatte als König der Geographielehrer das einzig richtige System für die Benotung von Prüfungen. In jedem Test galt es zehn unterschiedliche Fragen zu beantworten und jede Frage, egal wie schwierig und umfangreich sie war, ergab maximal 100 Punkte. So konnten insgesamt 1000 Punkte erreicht werden. Warum nicht? Ist wie in heutigen Computerspielen.
Erst dachte ich mir, vielleicht kennt Professor Auer keine Kommastellen, wurde jedoch stutzig als ein und dasselbe, richtige Wort bei einer Antwort mal 100 Punkte, bei anderen Schülern 93, 86 oder auch nur 42 Punkte brachte.
Er erklärte mir, dass das mit der Beantwortung anderer Fragen, die nichts mit dem Thema zu tun hatten, zusammenhängen würde. Aber sicher doch. Verbessert wurde mit rotem Buntstift und augenscheinlich hatte Professor Auer noch nie etwas von einem Radiergummi gehört.
Professor Auer war nicht gerade ein Freund der Technik und Overheadprojektor und Power-Point Präsentationen existierten in seiner Welt einfach nicht. Er schrieb den aktuellen Stoff jede Stunde neu an die Tafel.
Auf meine Frage, warum er denn das machen würde, antwortete er: „Wenn ich den Stoff jede Stunde neu aufschreibe, dann bleibt er mir besser im Gedächtnis.“ Ich lächelte ihn an und erwiderte verständnisvoll:
„Ja, ja, das Alter. Versuchen Sie mir trotzdem zu folgen. Die Schule ist nicht dafür da, dass Sie sich den Stoff besser merken. Machen Sie das gefälligst zuhause. Außerdem verändert das gehetzte Schreiben an der Tafel ihre Handschrift. Vielleicht sollten sie nicht immer erst fünf Minuten vor Schluss beginnen.
Ich will es so sagen: Ihre Handschrift, verbunden mit Zeitdruck und dem feinen Strich einer dicken Kreide an der Tafel lassen die Entschlüsselung von ägyptischen Hieroglyphen so kompliziert wie das 1×1 aussehen.
Ich verstehe, dass Sie bei dem vielen Geschreibe gerne Abkürzungen verwenden. Nur so als Hinweis. Es gibt offizielle Abkürzungen, Genre mäßige Abkürzungen in verschiedensten Wissensgebieten und Ihre Abkürzungen.
Wenn Sie beispielsweise die Buchstaben H und I an die Tafel kritzeln und wir diese aus Versehen auch tatsächlich deschiffrieren können, so vermögen wir nur aus dem Kontext zu erraten, ob es hinten, hinab, hierzu, hinauf, hinein, hiermit, Halbinsel oder einfach nur hier bedeutet.
Verzeihen Sie mir, aber das Wort hier hat nun wirklich nicht so viele Buchstaben. Außerdem macht es einen Unterschied, ob Sie hinten, hinab, hinauf oder hinein meinen. Aus welchem Kontext sollte sich das bitte ergeben?
Ich kann auch nachvollziehen, dass es für Sie einfacher ist, die Abkürzungen für Autokennzeichen zu verwenden, anstatt Regionen auszuschreiben, da Buchstaben ohnehin ihren natürlichen Erzfeind darzustellen scheinen.
Ich verstehe auch, dass Sie sich die Abkürzungen der Autokennzeichen besser merken können, wenn Sie sie jede Stunde an die Tafel schreiben, selbst wenn das Ihre Texte nahezu unlernbar macht.
Wenn wir jedoch bei dem Massaker, das Sie Schrift nennen, einen Buchstaben falsch entschlüsseln, so wird das ziemlich sicher einen gewaltigen Unterschied bei Autokennzeichen machen.
Nun einmal ganz im Ernst. Muss ich wirklich alle Autokennzeichenabkürzungen von ganz Afrika wissen? Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit überhaupt, dass einer Ihrer Schüler je die Autokennzeichenabkürzungen von Afrika benötigen wird.
Was Ihnen offensichtlich ebenfalls noch nicht so ganz klar zu sein scheint, ist dieses nebulöse Paradoxon namens Zeit. Wir können den Text auf der Tafel erst deschiffrieren, nachdem Sie ihn aufgemalt haben, oder wie auch immer Sie das nennen, was Sie da versuchen.
Heißt: Wenn Sie einen Text schreiben und gleich danach wieder von der Tafel löschen um genug Platz zu haben, konnten wir die Hieroglyphen in den Sekundenbruchteilen weder abmalen und schon gar nicht entschlüsseln.
Und noch etwas. Wir haben doch schon über Ihr Gedächtnis gesprochen. Sie überprüfen nie, ob auch alles auf der Tafel steht, was zum Stoff gehört. Soll heißen: Sie fragen bei Tests andauernd nach Informationen, die Sie uns weder verbal, noch durch Ihre Geheimschrift mitgeteilt haben.
Das Geographiebuch ist augenscheinlich der Meinung, dass dieses Jahr ein anderer Stoff „vorgeschlagen“ wurde und will uns somit auch nicht helfen. Und hören Sie auf andauernd zu rezitieren: „Das ist zwar das Selbe, aber nicht das Gleiche.“ Sie wirken nicht intelligenter, wenn Sie diese „Weisheit“ andauernd wiederholen.“
Professor Auer lobte immer wieder seine grammatikalischen und herausragenden Rechtschreibkenntnisse, doch irgendwie schaffte es sein fulminantes Wissen nie zu seinen Lippen, woraufhin ich damals einen Satz mit seiner kreativen Wortaussprache kreiert habe: „Der Bumbsbomber flog über die Sara und schoss mit einem Laasa ins Lahbor.“
Soll heißen: „Der Jumbo-Jet flog über die Sahara und schoss mit einem Laser in ein Labor.“ Und ja liebe Naturwissenschaftler und Professoren: Labor schreibt man weder mit einem stummen H noch mit zwei As, weshalb es auch als Labor und nicht als Lahbor ausgesprochen wird. Meine Freundin hat Biologie studiert, ihr könnt euch die Diskussionen vorstellen.
Professor Auer reiste für sein Leben gern und da alltägliche Berufe 40 Stunden Einsatz erfordern und pro Jahr nur fünf Wochen Urlaub bieten, was für Professor Auers Hobby VIEL zu wenig war, drängte sich damals der Job als Lehrer quasi auf.
Mit den heutigen neuen Zeitregelungen für Lehrer, den strengeren und engeren Lehrplänen, unabhängigen Prüfungen und fremdsprachigen Schülern, die mehr Ahnung von Grammatik haben, als meine Oder-Lehrerin, sehe ich meine ehemaligen Geographielehrer täglich in kleinen, schalldichten Kellerräumen weinen.
Man möchte meinen, dass ein Mensch, der jedes Jahr um die fünf Reisen in alle Teile der Welt unternimmt, gegen Rassismus gefeit ist, da er ja oft mit anderen selbsterkennenden Wesen dieses Planeten interagiert und schon durch reinen Zufall erkennen müsste, dass es sich auch bei Ausländern um Menschen handelt, die den gleichen grundlegenden Gesetzen wie man selbst unterliegen.
Nur ein wirklich perfider Charakter würde hergehen und diese Reisen nutzen, um die Schwachpunkte eines jeden Volkes akribisch genau herauszuarbeiten, um sie dann unaufhörlich als beiläufige Erwähnungen in Vorträgen, zum Beispiel als Lehrer in einer Schule, zu propagieren.
Viele Reisen brachten viele Erinnerungen und neben der Erfindung des Internets und der Digitalkamera boomte in Professor Auers Welt die Diabranche, weshalb er Zigtausende Dias von seinen Reisen mitbrachte, die er in diverse Vorträge einbaute.
Am intensivsten blieb mir ein Vortrag über Thailand in Erinnerung, der das Land, seine Flora und Fauna und seine Kultur in perfektem Verhältnis wiedergab. Professor Auer zeigte uns 1500 Dias, von denen 130 Landschaft und Städte zeigten und 1370 Dias zeigten Transvestiten.
So viele Reisen ziehen natürlich auch zahlreiche Bekanntschaften mit sich. Professor Auer klagte also einmal pro Jahr, wenn seine Frau und er über 120 Postkarten mit Weihnachtsgrüßen an „Ausländer“ verschicken mussten, die zu großen Teilen dieses Fest nicht feierten und teilweise nicht einmal wussten, was Weihnachten überhaupt ist. Und zu seiner Frau und seinen Kindern äußere ich mich hier lieber nicht.
Mein geschätzter Geographielehrer sorgte weltweit für Aufklärung und verbreitete den einzigen, richtigen Glauben. Und wenn nun jemand meint, E-Mail, Facebook oder eine einfache Vorlage eines Schreibprogramms mit Weihnachtsgrüßen hätte ihm die Aufgabe erleichtert, dann sei hier gesagt, dass Professor Auer eine ganz eigene Meinung zu Computern hatte.

  1. Computer sind prinzipiell nicht dumm, jedoch die Menschen, die sie benutzen.
  2. Computer sind intelligenter als wir glauben und er wollte nicht, dass ein Programm über seine Weihnachtsgrüße Bescheid weiß.
  3. Autoren geben inzwischen nur noch Titel, Namen der Charaktere und ungefähre Handlung in ihren Computer ein, der dann selbstständig die Geschichte schreibt. Kann ich nur bestätigen, so habe ich nämliche auch mein Buch „steinerne Saat“ geschrieben. Beeindruckend, was diese Dinger schon in den 90ern konnten.

Nicht nur umfangreiches Computerwissen zeichnete unseren Gehirnakrobaten aus. Professor Auer ist natürlich auch ein hochrangiger Offizier in der Reserve. Voller Stolz erzählte er, dass er einmal im Jahr einen 30 Kilometermarsch mitmachen würde und mokierte sich über die neuen Soldaten, die mit dem Marsch so ihre Probleme hatten. Ich erklärte ihm mit Engelsgeduld, dass das an den dreißig Kilo schweren Rucksäcken läge, wohingegen sein Gepäck von den Jungmännern noch zusätzlich getragen werden musste.
Das Militär formte Professor Auers Modegeschmack maßgeblich und brachte ihn zu der Erkenntnis, dass drei Pullover vollkommen ausreichend waren und starker Körpergeruch perfekt zu ihm passen würde.
Bei einem so außergewöhnlichen Mann wie Herrn Professor Auer ist es nicht verwunderlich, dass er laut eigenen Aussagen das Studio neben der Area 51 kennt, in dem die vorgetäuschte Mondlandung der Amerikaner aufgenommen wurde.
Doch meine Lieblingstheorie betrifft das Aussterben der Dinosaurier. Achtung Zitat: „Eines Tages, lange vor unserer Zeit, kam der Mars zu nahe an die Erde heran woraufhin unser Planet überstürzt abbremsen musste. Dabei brachen sich alle Dinosaurier das Genick.“
Aber sicher doch. Außerdem dreht sich die Sonne um die Erde, die übrigens eine Scheibe ist. Und so etwas darf tatsächlich noch heute unterrichten.

Wie viele private Erfahrungen und auch Überzeugungen dürfen Lehrer eurer Meinung nach in den Unterricht miteinbringen?

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2 Kommentare zu der militärische Geographielehrer und seine Verschwörungstheorien (MCPM 017)

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