An einem meiner ersten Tage, als ich noch neu in der großen Stadt war, bummelte ich über eine Einkaufsstraße und beobachtete einen Mann in zerlumpter Kleidung auf der Straße über den lieben Hitler und die doofen Ausländer skandieren.
Er unterbrach seine Lobtiraden für den Führer und seine Hasstiraden gegen Menschen, die er nicht kannte, für eine junge Dame, die er brüllend anbettelte. Mehr aus Angst kramte sie einige Münzen hervor, reichte sie dem Bettler und versuchte auf Distanz zu gehen.
Der obdachlose Nazi stellte sich seinem nächsten Opfer in den Weg und fragte um ein paar Euro. Als er jedoch nichts bekam, schrie er: „Sogar die blöde Schlampe da vorne hat mir einen Hungerlohn gegeben.“ Mir wurde seine Dankbarkeit vollends bewusst und ich entschloss, niemals einem Bettler auf der Straße Geld zu geben.
Einige Monate später war ich mit einem Freund unterwegs, der monatlich ohnehin schon viel Geld für Spendenverträge aufbrachte. Ich schaffte es, ihn von seinen fragwürdigen „Freunden“ zu trennen und verbrachte mit ihm einen schönen Abend, bis wir gegen fünf Uhr morgens vollkommen übermüdet auf die U-Bahn warteten.
Wir stöhnten, als wir auf der Anzeige „15 Minuten“ lasen und versuchten krampfhaft die Augen offen zu halten, als wir auch schon von einem Mann in leicht abgewetztem Anzug angesprochen wurden.
„Hallo. Wie geht es euch? Was macht ihr hier? Ward ihr fort? Seid ihr von hier?“ Nach knapp fünf Minuten blickte er gestresst auf die Zeitanzeige und meinte: „Kommt, wir gehen etwas essen. Ich kenne den besten Laden der Stadt. Gleich hier um die Ecke.“
„Ich musste heute ein dominantes Mädchen und ihr Gefolge abhängen, um einige Stunden mit meinem Freund alleine verbringen zu können. Jetzt sind wir müde und wollen schlafen. Wir werden sicherlich nicht mit Mister Unbekannt um fünf Uhr morgens Essen gehen.“
Er ließ nicht locker und fragte uns immer wieder, bis ich meinte: „Was arbeitest du eigentlich und wie viel verdienst du, dass du vollkommen Unbekannte um fünf Uhr morgens vom Nach-hause-fahren abhältst und zum Essen einladen willst.“
Seine Reaktion war trocken: „Ich dachte, ihr ladet mich ein.“ „Falsch gedacht. Wir werden die nächste U-Bahn nehmen und in unsere Wohnungen fahren, wo wir uns in unsere Betten legen und wo wir nicht Mister Annoying zum Essen einladen.“
Da mein Freund einer naiven Sozialader unterliegt, kramte er sein letztes Geld aus seiner Tasche und überreichte es dem Obdachlosen, der sofort nachzählte und meinte: „Das ist doch viel zu wenig für ein Essen.“
Mein Freund entschuldigte sich und erklärte, dass er nicht mehr Geld bei sich hätte. Der Bettler lachte ihn aus und meinte: „Wo lebst du eigentlich? Glaubst du tatsächlich, dass ich für so wenig Geld ein ordentliches Essen bekomme? Du bist wohl ein bisschen naiv.“
Ich schaltete mich betrunken, übermüdet und extrem genervt ein. Plötzlich vergaß der Bettler seinen Hunger und bestand darauf, meinem Freund das Geld zurückgeben zu dürfen. Wirklich nett von ihm, doch ich meinte: „Was sollen wir mit den paar Euro? Damit können wir uns doch noch nicht einmal ein ordentliches Essen leisten!“
Ich bemerkte, wie ich fremden Menschen generell misstrauischer werde und versuchte mich zurückzuhalten, als sich in einem Lokal ein Mann zu einem meiner Freunde und mir setzte und uns ansprach. Schon bald begann er uns seine Lebensgeschichte zu erzählen:
„Jungs, mein Leben war nicht einfach. Vor gut 15 Jahren habe ich mit drei anderen Kollegen einen Banküberfall begangen und wir sind davongekommen. Doch einer meiner Kollegen hat sich das Geld gekrallt und ist abgehauen.
Ich habe ihn ausfindig gemacht, das Geld zurückgeholt, an meine beiden verbliebenen Kollegen übergeben und ihn getötet. Ich wusste, dass mich die Polizei erwischen würde, doch das war es mir wert.
In all den Jahren im Gefängnis habe ich über die Beute kein einziges Wort verloren. Nun habe ich meine Strafe abgesessen, doch als ich wieder frei war, habe ich erfahren, dass meine Kollegen die Beute ausgegeben haben.“
Ich: „Kein Verlass mehr auf die heutigen Geschäftspartner.“ „Du sagst es. Ich habe mir ein Auto besorgt, in dem ich hinten im Kofferraum immer eine geladene Waffe habe, habe einen nach dem anderen angerufen, ihnen gesagt, dass ich nicht mehr böse auf sie bin und hab mich mit ihnen außerhalb der Stadt getroffen.“
Ich: „Müssen ja furchtbar clever sein, die beiden“ „Nein, eigentlich nicht. Ich habe sie erschossen. Jetzt hab ich zwar Angst, dass mich die Polizei wieder erwischen wird …“ Ich: „Aber das war es dir wert.“
Er nickt und erklärt: „Natürlich habe ich nun leider kein Geld, aber ich will auch nicht betteln. Ich habe Zigaretten günstig eingekauft und würde sie euch gerne weiterverkaufen. Ihr würdet mir damit wirklich helfen. Ihr müsst nur kurz mit mir vor die Tür kommen. Mein Auto parkt in einer dunklen Seitenstraße. Die Zigaretten liegen im Kofferraum.“
Die Freundlichkeit von Bettlern und Co (MCPM 064)
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