Aus Langeweile beschloss ich, mir beide Patellasehnen beim Trampolinspringen zu reißen, ließ mich operieren und machte mich voller Vorfreude auf den Weg zur Rehabilitationsklinik. Ich traf noch vor dem Sonnenaufgang ein und wartete ziemlich lange, da ein Feiertag war und die kompetenten Ärzte augenscheinlich nicht anwesend waren.
Die „Ärztin“ fragte nach meinem Aufenthaltsgrund und wie man Patellasehne und Trampolin schreibt. Dann tippte sie alles mit dem allseits beliebten Zwei-Finger-System ein, wobei sich der Computer jedoch zu wehren schien, denn pro Satz benötigte sie zwischen ein bis zwei Minuten. Doch Glücklicherweise diktierte ich ihr ja nicht Krieg und Frieden. Bei Ärzten, die selbst 2020 nicht wissen, wie man einen Computer bedient, fragt man sich, ob die in ihrem Job wirklich auf dem neuesten Stand sind.
Anschließend bat sie mich zehn Fragen mit einer Schmerzskala von eins bis zehn zu bewerten und versuchte dann die Zahlen zusammenzuzählen. Minuten später bot ich ihr an, die Mathematik für den heutigen Tag zu übernehmen, woraufhin sie erklärte, dass Zahlen noch nie ihre Stärke waren.
Nachdem ich meine Reha-Ziele offenbart hatte, durfte die offensichtliche Koryphäe vor mir meinen Trainingsplan zusammenstellen. Im selben Moment nahm ich von meinen Zielen Abschied und war schon froh, wenn es nicht schlechter werden würde.
Nachdem die fünfminütige Arbeit auf eine Stunde gestreckt wurde, hatte ich es endlich geschafft und mein Zimmer wurde mir zugewiesen. Augenscheinlich steht Erholung bei einer Reha-Klinik nicht im Vordergrund, da ich mich zwischen einem Zweibettzimmer mit einem inkontinenten Neunzigjährigen und einem Einzelzimmer mit rosaroten Wänden entscheiden konnte.
Nun war es bereits später Vormittag und zum Glück standen heute keine Termine mehr an. Ich packte also meine Sache, fuhr pünktlich zum Mittagessen nach Hause, fügte mich wieder in den Alltag ein, bis ich kurz vor der Nachtwache wieder in der Reha-Klinik erschien. Puh, das war ein anstrengender erster Tag.
Zweiter Tag:
Die Putzfrau und ein Pfleger weckten mich ohne zu klopfen, beim Frühstück lernte ich plötzlich Kantinenessen zu vermissen und schließlich ging es ab zur Schwellstromtherapie. Dass ich zwei metallene Drähte in meinen Knien hatte, erregte das Interesse des Personals ebenso wenig wie mein schmerzverzerrtes Gesicht.
Endlich hatte ich zweieinhalb Stunden Pause, bis ein zwanzigminütiges Herz-Kreislauftraining folgte. Die Therapeuten vor Ort wissen zwar, dass so ein Training erst nach dreißig Minuten Wirkung zeigt, doch die Bürokratie steht nun einmal über dem Zweck.
Wieder folgten eine lange Pause und ein geschmacksbefreites Mittagessen. Dann bekam ich die Information, dass für heute mit den Therapien Schluss sei. Ich verkroch mich in mein Zimmer und resümierte:
Als ich aus dem Rollstuhl kam, begann ich zu trainieren. Inzwischen war ich mit Ausdauer-, Krafttraining, Feinjustieren meiner Knie und Dehnungsübungen auf drei bis vier Trainingsstunden pro Tag gekommen. Kaum griff unser Gesundheitssystem, verringerte sich meine Trainingszeit auf zwanzig Minuten und meine Motivation verließ die Klinik.
An meinem dritten Tag stürmte ich zum Arzt und machte klar, dass das so nicht weitergehen könne. Da der Orthopäde gerade keine Zeit hatte, kam ich einfach zum Psychologen. Da darf man wohl nicht allzu kleinlich sein. Ich erklärte, dass ich in einer Reha ein voll ausgestattetes Fitnesscenter erwarte, welches von 6-22 Uhr sieben Tage die Woche geöffnet hätte und zu meiner freien Verfügung stünde.
Der Arzt beruhigte mich, trug mir freies Training auf meinem Trainingsplan ein und riet mir, den hoffnungslos überteuerten Zugang zum Schwimmbad in Anspruch zu nehmen. Erst am nächsten Tag erfuhr ich, dass hier nichts frei ist, da all dies lediglich hieß, dass ich zwei Mal zwanzig Minuten mehr die Woche trainieren durfte.
Vor Glück hätte ich gerne geweint und langsam kam mir der Gedanke, dass diese Reha-Klinik nur der Funktion diente, alte Menschen nicht vor Ort verwesen zu lassen. Die Verbesserung des Gesundheitszustandes war offensichtlich nicht unter ihren Top 10 Zielen.
Nach Tagen traf ich meine Physiotherapeuten, wobei einer kaum deutsch sprach und die andere weder hört noch sprechen konnte. Glücklicherweise kann man meine Probleme auch mental erörtern und so helfen wir uns mit Zeichensprache aus.
Beide Physiotherapeuten erklären mir, dass sie in ihrer langen Laufbahn noch nie einen Patienten hatten, der sich beide Patellasehnen gerissen hatte. Ich beruhigte sie und versichere ihnen, dass auch keiner der zehn Ärzte und zwanzig Therapeuten vor ihnen so etwas gesehen hatte und ich offensichtlich der einzige Idiot auf diesem Planeten bin, der sich beide Patellasehnen gerissen hat.
Resümee:
Zwar habe ich kaum Trainingseinheiten, dennoch verteilen sich meine Therapien auf den gesamten Tag, was irgendwie das Flair eines Gefängnisses besitzt. Beinahe jede Therapie ist für dreißig Minuten angeschrieben, dauert jedoch nur zwischen 15-20 Minuten, was zu einem ständigen Warten auf die Therapeuten führt. Für mich ist dies keine Erholung, sondern Stress.
Natürlich darf man auch am Wochenende nicht zuhause übernachten und damit man am Samstag noch irgendetwas zu tun hat, musste ich zu einem Hygienevortrag, der im Wesentlichen aussagte, dass man sich die Hände waschen soll. Den nächsten Samstag hatte ich einen Vortrag über künstliche Gelenke, auch wenn ich noch keines in mir trage. Vielleicht haben sie gehofft, dass ich ihnen ein Knie abkaufe.
Ich ärgere mich über die Doppelmoral, wo man uns ständig von gesunder Ernährung und Sport erzählt, während man in der Kantine gegen Geld die ungesündeste Nahrung, literweise Wein und sogar harten Alkohol bekommt. Sobald man zahlt, ist plötzlich wieder alles möglich.
Ich ärgere mich über die Abzocke der Gäste, insbesondere der eingeschränkten Menschen, die nicht zum nächsten Supermarkt gehen können. Die Kantinenpreise sind vollkommen überzogen, will man seine Wäsche waschen lassen, muss man einen Kredit aufnehmen und obwohl sogar in jedem mittelmäßigen Hotel W-Lan inzwischen standartmäßig dabei ist, wird hier eine Monatsgebühr verrechnet, bei der man sich auch gleich selbst eine Leitung legen kann.
Zum einen bin ich wirklich froh, dass wir ein Gesundheitssystem haben, auf der anderen Seite gibt es hier bei Effektivität und Organisation noch viel Luft nach oben.