Das Mysterium Kochen (MCPM 019)


Als ich das wohlige Elternhaus verließ, kam mir plötzlich der Gedanke, dass unabhängiges Leben etwas für sich hatte. Ich bemerkte schnell, dass neben Wohnung mieten, Miete zahlen, putzen und Wäsche waschen auch Nahrungssuche und Kochen für den Fortbestand der Menschheit nicht ganz unwesentlich sind.
So ernährte ich mich ein rebellisches Jahr lang in Freiheit von Spaghetti mit Butter und Schinken-Käse-Toast. Mhm, lecker. Und bald folgten meine ersten Versuche einer richtigen Küche. Hier mein Rezept für Studenten für Schnitzel nach Wiener Art:
Ahoi: Kochen
Man nehme zehn Stück altes, hartes Weißbrot, gebe es in eine Plastiktüte, lege diese auf den Boden und springe wie wild darauf herum, bis sich genügend Brösel bilden. Dann öffne man die Tüte und leere den feinen Inhalt auf den Teller. Den Rest verfüttere man an die Tauben.
Man stelle drei Teller nebeneinander. Den ersten befülle man mit Mehl, in den zweiten zerschlage man einige Eier – Geheimtipp: Natürlich wollen wir alle eine knusprige Panade, doch die Schale im Ei ist zu viel des Guten, also Eierschalen entfernen.
Außerdem sollte man das Ei vorher verquirlen. Das verhindert, dass man auf einer Stelle des Schnitzels nur Dotter, auf der anderen nur Eiweiß hat und dann von Mitmenschen jahrelang ausgelacht wird. Nicht, dass mir das passiert wäre, also glaubt bloß niemandem, der Kochgeschichten über mich erzählt! – Der letzte Teller enthält die selbstgemachten Brösel.
Nun kann man die Plastiktüte wieder verwenden. Man gebe billigstes Putenfleisch in die Tüte und springe erneut darauf herum, bis das Fleisch dünn wie Papier ist. Dadurch wird es größer und man hat das Gefühl, als würde man mehr essen. Inzwischen hat der Koch auch schon so viele Kalorien verbraucht, dass er das Schnitzel später ohne Bedenken essen kann.
Nun paniert man das Fleisch mit Mehl, dem verquirltem Ei und den handgemachten beziehungsweise fußgemachten Bröseln, frittiert das Ganze, fügt fertig gekauften Kartoffelsalat hinzu und: Bon Appetit.
Schnell war ich der Überzeugung, dass alle Bürger lernen sollten, alleine für sich zu sorgen, als ich bemerkte, dass meine Mitmenschen schon längst alles über gesunde Milchschokolade und die Lebenswichtigen Vitamine in Erdbeerkäse wussten.
Kompetente Mittagsfernsehsendungen, Wettessen auf You Tube, Kreativ-Rezepte in Boulevardzeitschriften und Maurer und Automechaniker, die hochverschuldet Restaurants eröffnen, lehren dem geneigten Zuschauer alles, was er über das Kochen wissen muss.
So fragte eine Verwandte, ob man Alufolie auch wirklich in den Backofen geben dürfte, während sich eine Studentin eine Dose Gulasch in der Mikrowelle erwärmte und ganz begeistert die zahlreichen Funken anstarrte.
Ein Mitdreißiger bereitete sich das erste Mal in seinem Leben eine Fertigpizza im Ofen zu und verkündete als Resultat: „Gar nicht einmal so schlecht, aber irgendjemand sollte mal ein Papier erfinden, damit man nachher nicht immer den gesamten Backofen putzen muss.“

Zu seinem Geburtstag schenkten wir ihm Backpapier, was ihm wie der heilige Gral vorgekommen sein muss. Und da auf dieser Party die Essenz der Kochkompetenz vereint war, fragte einer, wie lange ein Drei-Minuten-Ei dauern würde, während der selbsternannte Koch versuchte ein Steak zu dünsten.

Doch wer hat heute noch Zeit zum Kochen? Glücklicherweise gibt es unzählige Fertigprodukte für Singles bis hin zu Großfamilien, die Dank chemischer Perfektion mehrere Jahre halten und durch Fette und Zucker sogar nach etwas schmecken.
Etwaige, geringfügige negative Auswirkungen von Fastfood und dem Essen diversester Bestellservices werden durch ärztliche Kompetenz wieder ausgeglichen und garantieren dem Krankenhauspersonal einen sicheren Arbeitsplatz.
Vegetarier und Veganer sind gesundheitsfanatische Weicheier, die Gott trotzen, der die Tiere für unseren Genuss erschaffen hat.
Seit der Mensch als Spitze der Nahrungskette die edelste Schöpfung darstellt, was sich in Kriegen, Massenvernichtung und unserem verantwortungsvollen Umgang mit der Natur wiederspiegelt, ist es unsere religiöse Pflicht Fleisch zu essen und nicht den Tieren ihr Gemüse weg zu futtern.
Das Handwerk Koch ist inzwischen überholt und nimmt nun eher alchemistische Ausmaße an. Bei Fertigpulver mit Instantwasser und Dosenfleisch fehlt nur noch die Mikrowelle, die für den nötigen magischen Effekt sorgt.

Pizza, Burger und Currywurst mit Pommes rot weiß, wer muss da bitte noch kochen lernen? Und dennoch finde ich es wirklich wichtig selbst waschen, putzen und kochen zu können, um Selbstständig zu sein, aber wer ist heutzutage schon autark?
Wie wichtig findet ihr das Kochen?

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